Karin KneisslEnergieanalystin
Als Lehrende und als Schreibende verspüre ich gerade unter den jüngeren Generationen die Suche nach Gewissheiten und damit einhergehend auch eine Tendenz stärker in Richtung konservative Wertvorstellungen. Ich mache gerne das Wortspiel: Orientierung kommt von Orient! Man hat immer den Blick gen Osten gerichtet, um sich an neuen Ideen und Gedanken zu orientieren; seien es die Philosophien der Antike, das Alphabet, was auch immer – es kam aus dem Orient! Wir haben in einigen arabisch-islamischen Län-dern der letzten dreißig Jahre Folgendes beobachten können: Auch dort war ein gewisses Vakuum, vor allem ein ideologisches, ein gesellschaftliches, und die Antwort darauf war unter anderem auch der politische Islam. Die Wurzeln sind wohl vielfältig, aber wenn ich einmal einen Grund dafür näher beschreiben darf, dann ist das dieser: Der politische Islam ist ein neuer, extremer, konservativerer politischer Islam und hat die Gesellschaft und die Politik stark geprägt. Das kenne ich vor allem auch aus Ägypten und Jordanien, hier gab es zudem eine Art Globalisierungskritik. In Familien habe ich immer wieder beobachtet: Die Enkel waren um einiges konservativer, um nicht zu sagen frommer, extremer als die Großelterngeneration. Die Moscheen füllten sich in den letzten Jahrzehnten vor allem mit jungen Menschen, nicht mit der Generation 60+!
Es zeichnet sich für mich allgemein so manches ab, was mich ein wenig an die Tendenzen erinnert, die ich so in den letzten 20 Jahren in sehr liberalen gesellschaftlichen Zirkeln des arabischen Raumes erlebt habe, wo letztlich auch ein neuer Konservatismus entstand. Ich selbst bin ein sehr säkularer Mensch und trenne insofern ganz klar Politik von Religion; aber das Religiöse ist an sich massiv in den öffentlichen Raum zurückgekehrt. Der Islam war immer relativ stark religiös geprägt, dies zeigt sich gerade in einem Land wie Ägypten, das stets eine Tradition des Frommen und die Rolle des Göttlichen hatte, ein bisschen wie in alten Hochkulturzeiten. Die intellektuellen Eliten im arabischen Raum waren dabei oftmals so eine Art gauche caviar: Salonkommunisten, die Feudalherren waren und daneben den Kommunismus sozusagen als Gedankenspiel betrieben. Es war quasi oppositionell zu denken, vor dem Sturz des Schah mal Kommunist gewesen zu sein. Als auch dieses System zusammenbrach, ist vieles in die Brüche gegangen, daran kann ich mich sehr gut erinnern, und viele Gewissheiten waren weg. Ich habe persönliche Begegnungen mit Menschen gehabt, die in den späten 80er Jahren noch überzeugte Kommunisten waren und aktuell mit Rauschebart unterwegs sind, eine sehr frömmelnde und absolutistische, religiöse Weltanschauung in sich tragen und mir heute die Hand nicht mehr geben würden.
Die Loyalität zur Religionsgemeinschaft ist heute wieder stärker ausgeprägt. Es gab eine Phase eines säkularen Denkens, wo man sich beispielsweise in erster Linie als Syrer, als Iraker empfand. Gegenwärtig erleben wir jedoch eine Rekonfessionalisierung, die äußerst alarmierend ist und die auch die islamische Welt mitt-lerweile immer mehr beunruhigt, weil dabei viele Stellvertreterkriege ausgefochten werden – genauso wie der Kampf zwischen protestantischem Adel und dem katholischen Hause Habsburg im Mitteleuropa des Dreißigjährigen Krieges, der natürlich auch ein Machtkampf war, und Religion war ein ideales Instrument dafür. Ich habe in Sarajevo und in Beirut erlebt, wie Gesellschaften, die tags zuvor noch als äußerst weltoffen, kosmopolitisch galten, innerhalb kürzester Zeit in sehr ethnozentrierte kippen können und sogar rivalistisches Verhalten zeigen. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich diese Rekonfessionalisierung heute selbst in Frankreich beobachte: Nicolas Sarkozy, als er noch Innenminister war, begann Anfang des Jahrhunderts (2002) systematisch von den Juden Frankreichs und von den Muslimen Frankreichs zu sprechen. Tja, und womit kann man heute die Leute wirklich noch hinter dem Ofen hervorholen? Doch eigentlich nur damit, dass man konservativer als die anderen ist. Auf diese Weise kann man auch als Jugendlicher heute viel besser rebellieren, als wenn man sich ein drittes Tattoo dahin setzt, wo es alle anderen auch haben. Rebellionsmerkmale sind, glaube ich, heute nicht mehr so leicht zu finden.
Ich versuche, junge Leute zu motivieren oder ihnen ein wenig Zuversicht zu geben, weil ich weiß, wie schwierig es um sie bestellt ist, was Arbeit, was Studium betrifft, und wenn es um die Frage geht: Wo ist noch etwas frei oder ist die Welt besetzt, und hat diese Welt überhaupt noch Platz für uns? Ich bin überzeugt davon, dass es turbulent werden wird. Ich füge mich nicht in die Illusion: Alles wird gut. Es wird Turbulenzen geben, wirtschaftliche, politische; aber meine Hoffnung oder meine Zuversicht schöpfe ich daraus, dass sich danach hoffentlich wieder eine Situation ergibt, in der man auf Leute wird zurückkommen müssen, die aus sich heraus etwas können und die nicht an Positionen kommen, weil sie bestimmte Connections, Verbindungen oder sonst was haben, sondern dass die Leistung des Individuums und die Anständigkeit einfach wieder zum Tragen kommen.
Das alte europäische Ideal der Aufklärung, der Citoyen, unabhängig von Herkunft, von Abstammung, der Bruch mit dem Feu-dalismus, der Bruch mit der ethnischen Zugehörigkeit, dass man hoffentlich genau in das zurückkommt, dass der Bürger mit seinen Rechten und Pflichten die bürgerliche Gesellschaft mitgestaltet, das hoffe ich! Daraus schöpfe ich meine Zuversicht und die ver-suche ich auch, mit jüngeren Leuten zu teilen, weil ich an vielem spüre, dass sie ganz genau wissen, dass es da draußen zappenduster geworden ist. Das hat sich in den letzten fünf Jahren für viele ganz klar abgezeichnet; sie bekommen auch Gespräche zu Hause mit oder sind betroffen, wenn Eltern oder ein Verwandter arbeitslos werden. Zudem ist mir in den letzten 20 Jahren – eigentlich immer sehr traurig – ein starker Konformismus aufgefallen, im Sinne von »bloß nichts hinterfragen«, obwohl ich meinen Studierenden immer wieder sage: Ihr seid jetzt noch im akademischen Leben, hinterfragt jetzt kritisch, so viel ihr könnt. Denn wenn ihr dann mal im Berufsleben steht, müsst ihr etwas verkaufen, mit dem ihr euch nicht immer hundertprozentig identifizieren könnt – eine politische Position oder ein Produkt, das eine Firma produziert. Und eben das hat mir gefehlt: Es mögen andere, eben der Aufklärung verbundene Ideale wieder stärker in den Vordergrund treten! Darauf hoffe ich, aber dazwischen wird es turbulent.