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INTERVIEW

SYBILLE ANDERLAstrophysikeriN

In der Astrophysik muss man als Erstes unterscheiden zwischen der Astrophysik, der Astronomie im engeren Sinne und der Kosmologie. Die Kosmologie beschäftigt sich mit dem Universum, versucht das Universum zu verstehen in seiner Entwicklung und in seinem Wesen. Die Astrophysik, die von der Astronomie abstammt, versucht das zu verstehen, was wir im Universum finden, also Sterne, Galaxien, Schwarze Löcher – das, was zwischen den Sternen ist. Wir können allerdings die Objekte, die wir studieren, nicht selber manipulieren. Das ist erst einmal ein Handicap auf dem Weg zur Gewissheit. Wenn man etwas manipulieren kann, wenn man interagieren oder gucken kann, wie Objekte auf Einflüsse reagieren, dann hat man das Gefühl, dass man eine Gewissheit zu entwickeln vermag. Das heißt, man versteht die Dinge dann besser. Wir arbeiten hingegen mit Modellen. Wir modellieren die Objekte im Universum und haben deshalb einen anderen Anspruch als andere physikalische Diszipli-nen in dem Sinne, dass wir nicht so sehr stark theoriegetrieben sind.

Die Astrophysik hat allerdings so etwas wie eine intuitive Gewissheit, denn wir können die Dinge sehen, die wir studieren. Sie ist sehr stark vom Beobachten durch ein historisches Teleskop abgeleitet. Alle Menschen können den Sternenhimmel sehen, und wir haben die Vorstellung, dass wir noch den gleichen Sternenhimmel wie unsere Ahnen vor einigen tausend Jahren betrachten. Unsere Teleskope sind dabei schlicht eine Weiterentwicklung dieser sehr einfachen Fernrohre, die unsere Vorfahren vor ein paar hundert Jahren benutzt haben. Von daher gibt es eine intuitive Vorstellung, dass das, was wir sehen, gewiss auch existiert – was wiederum etwas anderes ist als in der Teilchenphysik. Dort müssen wir die Phänomene, die wir studieren, erst in riesengroßen Experimenten erzeugen. Das sind zunächst die beiden Seiten von Gewissheit, die ich in der Astrophysik sehe.

Der zweite Teil, die Kosmologie, die sich mit dem Universum und der Entwicklung des Universums beschäftigt, ist ein anderer Fall, weil natürlich die empirische Grundlage sehr viel problematischer ist. Kosmologie war traditionell ein Feld, das sehr mit Spekulationen verbunden war. Wenn man sich die Geschichte anguckt – Descartes, Newton, Kant, die haben sich sämtlich Gedanken darüber gemacht, wie unser Universum aufgebaut ist, wie es funktioniert, aber hatten natürlich keine wirklich handfesten Beobachtungsdaten. Die Kosmologie als empirische Wissenschaft im engeren Sinne, das ist eine Entwicklung, die erst Anfang des letzten Jahrhunderts begonnen hat. Seitdem haben wir immer mehr empirische Daten sammeln können und sind zu der Überzeugung gelangt, dass es einen Urknall gegeben hat. Wir haben auch die kosmische Hintergrundstrahlung beobachtet – ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil der empirischen Grundlage heutiger Kosmologie. Über die Jahrzehnte sind wir inzwischen so weit gekommen, dass wir sagen würden, die Kosmologie ist eine wohlfundierte empirische Wissenschaft, ein empirischer Wissenschaftszweig.

Allerdings schätzen es manche Leute aktuell auch so ein, dass wir uns gegenwärtig in einer Krise der Kosmologie befinden. Und es ist in der Tat ein Problem, ein interessantes natürlich, dass wir auf der einen Seite so viele empirische Daten wie nie zuvor haben und auf der anderen Seite aber neue Entitäten einführen mussten, die unser Unwissen ausdrücken: die Dunkle Energie, die Dunkle Materie, welche 96 % der Energiemateriedichte innerhalb unseres Universums ausmachen und wovon wir keine Ahnung haben, was beides sein kann. Es ist natürlich eine sehr alarmierende Bilanz, dass wir nur 4 % des Universums wirklich verstehen. Da richtet sich die Hoffnung auf die Teilchenphysik – darauf, dass die Teilchenphysiker den Astrophysikern helfen und möglicherweise irgendetwas finden, das der Dunklen Materie entsprechen könnte. Das Standardmodell der Teilchenphysik beinhaltet allerdings keinen Kandidaten für Dunkle Materie. Es gibt auch schon Alternativen, die allerdings sehr viel weniger schön sind, theoretisch gesprochen. Sie sind sehr viel komplizierter, man versteht sie noch nicht so richtig; aber diese könnten die Beobachtungen besser erklären als Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder auch Experimente, welche die Relativitätstheorie mit einer unglaublichen Präzision bestätigen. Das heißt: Hier weiß man nicht so richtig, wie man diese Ergebnisse einzuordnen hat.

Man denkt, dass Dunkle Energie und Dunkle Materie nichts wirklich Beunruhigendes sein werden, dass man das schon irgendwie in den Griff bekommt. Das ist die Hoffnung, wenn man so will, vielleicht die Vision. Wissenschaftstheoretisch ist es ja symptomatisch für die Zeiten einer Krise, wenn man mit Anomalien konfrontiert ist, mit Dingen, die man nicht versteht, dass man dann anfängt, in neue Richtungen zu forschen: Man variiert Methoden und versucht, in ganz neue Richtungen zu denken. Das hat man einfach nicht nötig, wenn alles bereits perfekt funktioniert. Denn dann gibt es bereits einen Methodenkarren, der einfach läuft, und man arbeitet mit Entitäten, die man gut kennt.

Über meine Arbeit kann ich sagen, dass ich ein relativ gesichertes Thema bearbeite. Bei mir geht es darum, wie Sterne geboren werden, wie Sterne sterben. Es ist sehr stark beobachtungsbezogen. Auf der einen Seite realisiere ich Modellierung, die so läuft, dass ich Physik, wie wir sie von unserer Erde kennen, in einen numerischen Code wandle und damit berechne, was wir in unserer Milchstraße sehen. Bei mir geht es konkret um Schockwellen, also um Explosionen, und die Frage, was in der Folge passiert. Mein Job ist es, Beobachtungen von Sternengeburten und Sternentodesfällen durch Modelle zu erklären. Das heißt, Forscher kommen mit ihren Daten zu mir und sagen: Wir registrieren dieses und jenes – was sagt uns das über den Stern? Das versuche ich dann, mithilfe eines Computerprogramms zu beantworten. Das ist die eine Seite meiner Arbeit.

Auf der anderen Seite mache ich auch selbst Beobachtungen. Das heißt konkret: Gerade diese Ereignisse von Sternengeburten, Sternenexplosionen und Supernova-Explosionen verfolge ich in der Atacama-Wüste mit einem Teleskop. Insofern bewege ich mich da auf relativ sicherem Boden. Wir machen sehr, sehr viele Beobachtungen und haben sehr leistungsfähige Teleskope. Hier sind eigentlich keine Revolutionen zu erwarten, denke ich. Von daher bin ich in einem Feld, das einen sehr hohen Grad von Gewissheit hat – allerdings, könnte man jetzt ein bisschen fies sagen, auf der anderen Seite auch langweiliger ist. Ich mache mir deshalb um meine Zukunft weniger Sorgen, weil ich weiß, dass wir uns auf einem sehr gut gesicherten theoretischen Fundament bewegen. Aber man weiß halt nie! Das ist das Schöne an der Wissenschaft, dass man immer wieder überrascht werden kann.