Nr.7

INTERVIEW

Günther ReimannÖkonom und Journalist

Große ldeen haben in der Geschichte eine wesentliche Rolle gespielt und werden es auch weiterhin tun. Aber als politisch gestaltende Kraft können sie nur in der Zeit eines revolutionären Umbruches einer Gesellschaft wirken, wenn der leidenschaftliche Glaube an eine bestimmte Idee diejenigen beseelt, welche in Spitzenstellungen des Staates rücken und Macht ausüben können.

Jetzt befindet sich die Welt in einem internationalen Vakuum. Die von den USA dominierte Weltordnung des Westens ist nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums zerfallen. Eine neue Weltordnung ist noch nicht entstanden. Es besteht eine Art Interregnum.

Die zunehmenden Konsumbedürfnisse der Rentnerklasse und der oberen Einkommensschichten erfordern eine hohe Entwicklung der Produktivität in den industriellen Produktionsstätten. Der Sinn der Höchstentwicklung der Produktivkräfte scheint das Ziel des parasitären Luxuslebens einer kleinen Minderheit. Diese Minderheit wächst an Zahl, wenn der Rentenkapitalismus breite Massen teilnehmen läßt. Dann müssen neue Gebiete für den Tourismus erschlossen werden. Seine finanzielle Grundlage ist der Rentenkapitalismus. Die Endkonsumenten sind indes ohne politische Macht.

Die zunehmende Standardisierung und Regulierung des menschlichen Lebens in den Spitzenländern des Industrialismus der westlichen Welt drückt die Qualität des Lebens herab, der Bereich der persönlichen Freiheit wird eingeengt. Je stärker sich dieser Prozess entwickelt, umso mehr werden Orte und Länder geschätzt, wo man nicht staatlicher Bürokratie und Polizeigewalt begegnet. Es gibt Länder oder Ländchen, die ihre nationale Souveranität ausnutzen, um sich als Oasenland dem von staatlicher Bürokratie verfolgten Menschen als Ort persönlicher Freiheit anzubieten, vorausgesetzt er ist vermögend und vermag das Oasenland zu bereichern.

Oft wird über die Endkrise orakelt. Es gibt keine Endkrise in dem Sinn, dass das internationale Währungsund Finanzsystem zusammenbrechen und ein Vakuum auf diesem Gebiet entstehen wird. Es wird Notlösungen geben, aber Sie werden in ein neues System internationaler Währungen eingefügt werden. Es wird post factum einen Weltplan und eine Verständigung geben. Aber erst kommt die Krise, die Teillösungen notwendig macht.

Die schleichende Krise des Rentenkapitalismus wird zu einer Krise des sozialen Friedens führen. Es beginnt ein neuer Kampf der sozialen Klassen um die Verteilung des Mehrwertes und gegen ein System, das den Massen die soziale Sicherheit nimmt. Konkret wird die internationale Währungskrise zu einer Gefährdung der Rente. Die Konsolidierung des Systems durch den Rentenkapitalismus wird unterminiert. Mit einer goldwertigen Währung würde eine neue solide, wertbeständige Grundlage für den Wiederaufbau eines Rentenkapitalismus hergestellt – temporär. Aber im Übergang wird die Rentenbasis des sozialen Friedens so eingeengt, dass der Boden für neue sozialrevolutionäre Krisen entsteht. Die politischen Parteien, deren Bürokratien im Rentenkapitalismus verwurzelt sind, werden verunsichert und zutiefst kompromittiert. Die Aussicht auf eine neue Expansionsund Prosperitätsperiode – für eine Generation – kann erst nach einer tiefen deflationistischen Krise des Rentenkapitalismus, der sich in fünfzig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, zur Wirklichkeit werden. Die schleichende Krise der Parteien und Bewegungen, die die Verteidigung der Rente auf ihr Banner schreiben, führt sie zu einem Kampf gegen Windmühlen.

Das internationale Finanzkapital finanziert die Konkurrenz und die eigenen Verluste. Es ist stärker verbunden mit dem kapitalintensiven als mit dem lohnintensiven industriellen Sektor, wo die menschliche Arbeitskraft mit den Maschinen konkurriert – während in den kapitalintensiven Industrien Maschinen mit Maschinen konkurrieren, die vom Finanzkapital finanziert worden sind. In den fortgeschrittenen Industrieländern ist die Konkurrenz von Maschine gegen Maschine viel wirksamer für den Erfolg als die alte Konkurrenz Maschine gegen menschliche Arbeitskraft. Deswegen schreitet der technische Fortschritt in den alten Industrieländern schneller voran als in den zurückgebliebenen Entwicklungsländern. Die Kluft zwischen beiden in Bezug auf Produktivität oder Produktivkraft der Arbeit erweitert sich. Sie wird sich mit den kommenden technischen Revolutionen weiter vergrößern.

Als Zeitgenosse habe ich häufig die Fehleinschätzungen der Zukunft seitens strategischer Planer beobachten können, die glaubten, mit der Macht der Mächtigen die Zukunft gestalten zu können. In den zwanziger Jahren dachten sie, den alten Krisenzyklus überwunden zu haben. Stattdessen begannen der Zusammenbruch des Kreditund Bankensystems und die tiefe Depression, die nicht mehr durch den alten Konjunkturzyklus beendet werden konnte. Danach begann der Staat als Interventionist in großem Umfang, das kapitalistische System zu stützen und zu reformieren. Die staatlichen Führungen in den USA und auch in Deutschland unter Hitler wussten nicht im Voraus, dass sie vor einer fatalen Wahl stehen werden: einer neuen deflationistischen Krise oder eines neuen Inflationismus, der mit budgetären Defizitfinanzierungen beginnen würde. Um dieser Wahl zu entgehen, wurde der Zweite Weltkrieg von Hitler ausgelöst. Aber die Konsequenzen wurden falsch eingeschätzt. Am Ende glaubten die amerikanischen Sieger, eine neue Weltordnung errichten zu können auf Grundlage eines von ihnen kontrollierten und regulierten Weltkapitalismus. Wir wissen jetzt, dass diese Pläne Illusionen waren. Sie beeinflussten jedoch in starkem Maße die Gestaltung der Nachkriegswelt.